Veröffentlicht am März 12, 2024

Der Schlüssel zu einem gesunden Umgang mit Social Media ist nicht, die Zeit zu begrenzen, sondern die Absicht dahinter zu klären.

  • Passiver Konsum (endloses Scrollen) fördert Unzufriedenheit, während aktive Interaktion echte Verbindungen stärken kann.
  • Algorithmen sind darauf ausgelegt, emotionale Reaktionen zu maximieren, nicht Ihr Wohlbefinden zu fördern.

Empfehlung: Werden Sie vom reaktiven Konsumenten zum bewussten Gestalter Ihrer digitalen Ernährung, indem Sie gezielt auswählen, was Sie konsumieren und wie Sie interagieren.

Kennen Sie das Gefühl? Sie nehmen sich vor, nur kurz eine Nachricht zu beantworten, und eine Stunde später finden Sie sich in einem endlosen Strudel aus Videos, Bildern und Meinungen wieder. Sie fühlen sich ausgelaugt, unzufrieden und fragen sich, wo die Zeit geblieben ist. Viele Ratgeber empfehlen dann simple Lösungen wie einen „Digital Detox“ oder das strikte Limitieren der Bildschirmzeit. Doch diese Ansätze kratzen nur an der Oberfläche eines viel tiefer liegenden Problems.

Die wahre Herausforderung liegt nicht in der reinen Dauer unserer Online-Zeit, sondern in der Qualität unserer Nutzung. Wir sind oft keine aktiven Teilnehmer, sondern passive, reaktive Konsumenten, gesteuert von Algorithmen, die darauf optimiert sind, unsere Aufmerksamkeit zu fesseln. Aber was wäre, wenn die eigentliche Lösung nicht darin besteht, sich komplett zurückzuziehen, sondern darin, die Spielregeln zu verstehen und das Spiel zu unseren Gunsten zu verändern? Wenn wir lernen, unsere digitale Welt bewusst zu gestalten, anstatt von ihr gestaltet zu werden?

Dieser Artikel verfolgt genau diesen Ansatz. Er ist Ihr Leitfaden, um die psychologischen Mechanismen hinter Social Media zu durchschauen und die Kontrolle zurückzugewinnen. Wir tauchen tief in die Funktionsweise der Plattformen ein und geben Ihnen konkrete, selbstermächtigende Strategien an die Hand, um Ihre mentale Gesundheit, Ihren Selbstwert und Ihre Privatsphäre wirksam zu schützen. Es geht darum, eine gesunde, intentionale Beziehung zu sozialen Netzwerken aufzubauen.

Um Ihnen eine klare Orientierung zu geben, haben wir diesen umfassenden Guide strukturiert. Er führt Sie von den grundlegenden Mechanismen der Plattformen über praktische Routinen bis hin zu fortgeschrittenen Themen wie Desinformation und Datenschutz.

Warum verstärken soziale Medien systematisch emotionale und polarisierende Inhalte?

Der Grund, warum Ihr Newsfeed oft wie ein Schlachtfeld der Emotionen wirkt, liegt im Geschäftsmodell der Plattformen: der Aufmerksamkeitsökonomie. In diesem System ist Ihre Aufmerksamkeit die Währung. Je länger Sie auf einer Plattform verweilen, desto mehr Werbung kann Ihnen angezeigt werden und desto mehr Daten können über Sie gesammelt werden. Die Algorithmen sind daher nicht darauf optimiert, Ihnen ausgewogene oder informative Inhalte zu zeigen, sondern solche, die eine starke Reaktion hervorrufen – denn Emotionen fesseln die Aufmerksamkeit am effektivsten.

Wut, Empörung, aber auch extreme Freude oder Rührung erzeugen nachweislich mehr Interaktionen wie Likes, Kommentare und Shares. Diese Interaktionen signalisieren dem Algorithmus: „Dieser Inhalt ist relevant! Zeige ihn mehr Menschen.“ So entsteht eine gefährliche Rückkopplungsschleife, in der extreme und polarisierende Inhalte systematisch bevorzugt und verstärkt werden. Es geht nicht darum, was wahr oder gut für Sie ist, sondern nur darum, was Ihre Augen am Bildschirm hält.

Interessanterweise ist der Algorithmus aber nur ein Teil des Problems. Eine Studie der Universität Amsterdam zeigte in einer Simulation, dass emotionale Inhalte auch ohne algorithmische Verstärkung eine höhere Verbreitung finden. Das menschliche Verhalten und die Netzwerkstruktur selbst begünstigen die virale Verbreitung emotionaler Posts. Das bedeutet, dass wir als Nutzer eine Mitverantwortung tragen, indem wir durch unsere unbewussten Reaktionen dieses System am Leben erhalten. Die Erkenntnis, dass wir Teil dieses Mechanismus sind, ist der erste Schritt, um aus ihm auszubrechen.

Wie Sie in 6 Schritten eine ausbalancierte Social-Media-Routine entwickeln

Eine gesunde Social-Media-Routine zu entwickeln, bedeutet nicht, sich strikte Verbote aufzuerlegen. Vielmehr geht es darum, eine bewusste „digitale Ernährung“ zu etablieren. Stellen Sie sich Ihren Content-Konsum wie Ihre Nahrungsaufnahme vor: Es gibt nahrhafte, bereichernde Inhalte (Gemüse), leichte Unterhaltung (Obst) und leeren „Junk-Content“ (Süßigkeiten), der kurzfristig befriedigt, aber langfristig schadet. Das Ziel ist eine ausgewogene Mischung, bei der Sie bewusst entscheiden, was Sie konsumieren.

Eine Pyramide, die verschiedene Arten von digitalen Inhalten darstellt, von gesunden und nahrhaften an der Basis bis zu 'Junk-Content' an der Spitze.

Wie die obige Abbildung andeutet, sollte die Basis Ihrer digitalen Ernährung aus Inhalten bestehen, die Sie inspirieren, bilden und mit echten Menschen verbinden. Die Spitze der Pyramide – endloses, passives Scrollen durch irrelevante Feeds – sollte nur einen kleinen Teil ausmachen. Es geht darum, vom reaktiven Konsumenten, der alles isst, was ihm der Algorithmus vorsetzt, zum aktiven Gestalter Ihres digitalen Speiseplans zu werden.

Ihr Audit für eine bewusste Medien-Diät: Plan in 5 Schritten

  1. Nutzungs-Analyse: Tracken Sie eine Woche lang Ihre Bildschirmzeit pro App. Notieren Sie nicht nur die Dauer, sondern auch, mit welchem Gefühl (z.B. inspiriert, genervt, gelangweilt) Sie die App schließen.
  2. Inventur der Quellen: Gehen Sie durch Ihre Abo-Liste. Fragen Sie sich bei jedem Account: „Bereichert dieser Inhalt mein Leben oder raubt er mir Energie?“ Entfolgen Sie konsequent allen Profilen, die Stress oder Neid auslösen.
  3. Definition von Zielen: Legen Sie vor dem Öffnen einer App eine klare Absicht fest. Wollen Sie einer bestimmten Person schreiben? Eine Information nachschlagen? Oder sich 10 Minuten unterhalten lassen? Verlassen Sie die App, sobald das Ziel erreicht ist.
  4. Schaffung von Tabuzonen: Etablieren Sie feste bildschirmfreie Zeiten und Orte. Die erste Stunde nach dem Aufwachen und die letzte Stunde vor dem Schlafengehen sowie das Schlafzimmer sollten tabu sein.
  5. Planung von Alternativen: Was tun Sie in den Momenten, in denen Sie reflexartig zum Handy greifen würden (z.B. im Wartezimmer, in der U-Bahn)? Legen Sie sich eine Alternative zurecht: ein Buch lesen, einen Podcast hören oder einfach nur die Umgebung beobachten.

Posten und Interagieren oder Konsumieren: Welche Social-Media-Nutzung schadet weniger?

Nicht jede Minute auf Social Media hat die gleiche Auswirkung auf unser Wohlbefinden. Die Forschung und klinische Praxis zeigen einen klaren Unterschied zwischen aktivem und passivem Konsum. Während passives Scrollen oft zu negativen Gefühlen führt, kann aktive Teilnahme durchaus positive Effekte haben. Es ist die Qualität der Interaktion, die zählt.

Sven Steffes-Holländer, Chefarzt der Heiligenfeld Kliniken, bringt es auf den Punkt und regt zur Selbstreflexion an:

Passives Konsumieren (endloses Scrollen) wirkt nachweislich negativer als aktives Austauschen oder sinnvolle Begegnung. Nutze ich Social Media, um echte Verbindung zu erleben oder nur, um mich abzulenken?

– Sven Steffes-Holländer, Heiligenfeld Kliniken

Diese Unterscheidung ist zentral für Ihre Strategie der bewussten Nutzung. Passiver Konsum versetzt Sie in eine reaktive Haltung, in der Sie sich dem algorithmisch kuratierten Strom von Inhalten hingeben. Dies fördert soziale Vergleiche und das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Aktive Nutzung hingegen bedeutet, selbst zu gestalten: Sie posten eigene Inhalte, kommentieren durchdacht, tauschen sich in Gruppen aus oder pflegen private Nachrichten. Hier nutzen Sie die Plattform als Werkzeug zur Verbindung, nicht als Ablenkung.

Die folgende Tabelle fasst die wesentlichen Unterschiede und Risiken der verschiedenen Nutzungsarten zusammen, basierend auf Erkenntnissen der Mediensuchthilfe. Sie dient als Kompass, um Ihre eigenen Gewohnheiten einzuordnen.

Aktive vs. Passive Social Media Nutzung
Nutzungsart Positive Aspekte Risiken
Aktives Posten Kreative Selbstdarstellung, Vernetzung Jagd nach Bestätigung, Validierungssuche
Passives Konsumieren Inspiration durch Mentoren Schädlicher Aufwärtsvergleich, parasoziale Beziehungen
Bewusste Interaktion Echte Verbindungen, Austausch Zeitintensiv

Warum führt Instagram-Nutzung bei 40% der Nutzer zu Selbstwertproblemen?

Instagram ist eine visuelle Plattform, die wie kaum eine andere darauf ausgelegt ist, idealisierte Versionen der Realität zu präsentieren. Perfekt inszenierte Urlaubsfotos, makellose Körper und scheinbar mühelose Erfolgsgeschichten erzeugen einen konstanten Strom von Inhalten, die zum sozialen Vergleich einladen. Dieser Mechanismus ist besonders tückisch, da er direkt an unserem Selbstwertgefühl ansetzt. Die Jagd nach Likes wird zu einem Gradmesser für die eigene Wertigkeit, was toxische Züge annehmen kann. Eine Studie zeigt, dass bereits 40 Prozent der deutschen Instagram-Nutzer schon einmal eigene Beiträge gelöscht haben, weil sie nicht genug Likes bekamen. Dies ist ein klares Zeichen für extern validierten Selbstwert.

Das Problem ist der sogenannte „soziale Aufwärtsvergleich“. Wir neigen von Natur aus dazu, uns mit Menschen zu vergleichen, die in einem bestimmten Bereich scheinbar besser dastehen als wir selbst. Auf Instagram wird dieser Mechanismus auf die Spitze getrieben, weil wir es nicht mit der Realität, sondern mit einer sorgfältig kuratierten Hochglanz-Fassade zu tun haben.

Fallstudie: Die Rolle des Selbstwerts bei Instagram-Vergleichen

Eine Studie des Leibniz-Instituts für Medienforschung hat diesen Effekt detailliert untersucht. Die Forscher fanden heraus, dass soziale Vergleiche auf Instagram direkt zu Unzufriedenheit, Stress und negativen Emotionen führen. Besonders gefährdet sind dabei Personen mit einem von vornherein geringeren Selbstwertgefühl und hoher Selbstunsicherheit. Für sie wirkt der ständige Aufwärtsvergleich wie ein Brandbeschleuniger für negative Selbstwahrnehmung. Sie geraten in eine Spirale, in der sie durch den Konsum von idealisierten Inhalten ihren eigenen Wert immer weiter in Frage stellen, was wiederum ihre Neigung zu noch mehr Vergleichen verstärkt.

Sich dieses Mechanismus bewusst zu werden, ist der erste Schritt zur Immunisierung. Erinnern Sie sich aktiv daran, dass Sie nur einen winzigen, geschönten Ausschnitt aus dem Leben anderer sehen. Jeder Feed ist eine Inszenierung. Die wahre Kunst besteht darin, Inspiration zuzulassen, ohne sich in den Vergleich zu verlieren.

Wie Sie Desinformation in 5 Schritten erkennen und nicht weiterverbreiten

In einer Welt, in der emotionale Inhalte eine größere Reichweite erzielen, haben Falschinformationen und Propaganda leichtes Spiel. Sie sind oft gezielt darauf ausgelegt, starke Gefühle wie Angst oder Wut zu schüren, um eine schnelle, unreflektierte Verbreitung zu fördern. Ein aktiver, bewusster Nutzer zu sein, bedeutet daher auch, eine Verantwortung für die Informationshygiene im Netz zu übernehmen. Erschreckenderweise zeigt die Studie „Gesundheitskompetenz in Deutschland 2024“, dass sich rund 60 von 100 Deutschen schwer tun, die Qualität von Gesundheitsinformationen richtig einzuschätzen.

Die gute Nachricht ist: Faktenprüfung ist eine erlernbare Fähigkeit. Eine der effektivsten Methoden ist die SIFT-Methode, entwickelt vom Digital-Literacy-Experten Mike Caulfield. Sie besteht aus vier einfachen Schritten, die Ihnen helfen, schnell die Spreu vom Weizen zu trennen, bevor Sie etwas teilen:

  • Stop: Der wichtigste Schritt. Halten Sie inne, bevor Sie einen emotional aufgeladenen Beitrag reflexartig teilen. Fragen Sie sich: „Kenne ich diese Quelle? Wirkt diese Behauptung glaubwürdig?“
  • Investigate the Source (Die Quelle untersuchen): Wer steckt hinter der Information? Ist es eine anerkannte Nachrichtenorganisation, eine wissenschaftliche Institution oder ein anonymer Blog? Eine schnelle Suche nach dem Namen der Quelle kann viel enthüllen.
  • Find Better Coverage (Bessere Berichterstattung finden): Suchen Sie nach dem Thema in einer vertrauenswürdigen Suchmaschine. Berichten auch andere, seriöse Quellen darüber? Wenn nur obskure Webseiten die Behauptung aufgreifen, ist das ein Warnsignal.
  • Trace Claims (Behauptungen zurückverfolgen): Oft werden Zitate, Bilder oder Statistiken aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen. Versuchen Sie, den Ursprung der Information zu finden. Eine Rückwärts-Bildersuche kann hier sehr hilfreich sein.

Plattformen wie YouTube gehen mittlerweile dazu über, geprüfte Gesundheitskanäle mit Labels zu versehen, um Nutzern die Orientierung zu erleichtern. Doch letztendlich liegt die Verantwortung bei jedem Einzelnen, nicht zum unbewussten Multiplikator von Desinformation zu werden.

Wann sollten Sie bei Mitarbeitern intervenieren: Die 7 Frühwarnsignale psychischer Überlastung

Die negativen Auswirkungen von exzessiver Social-Media-Nutzung beschränken sich nicht auf das Privatleben, sondern sickern immer mehr in den Arbeitsalltag durch. Für Führungskräfte und Kollegen ist es wichtig, die Frühwarnsignale einer digitalen Überlastung oder gar einer Suchtentwicklung zu erkennen, um rechtzeitig und unterstützend eingreifen zu können. Es geht nicht um Überwachung, sondern um Fürsorge und die Aufrechterhaltung eines gesunden und produktiven Arbeitsumfelds.

Ein sehr modernes und sichtbares Warnsignal ist das sogenannte „Phubbing“.

Fallbeispiel: Phubbing als Alarmsignal am Arbeitsplatz

Der Begriff „Phubbing“ setzt sich aus „Phone“ und „Snubbing“ (brüskieren) zusammen. Er beschreibt das Verhalten, anwesende Personen während eines Gesprächs durch die Nutzung des Mobiltelefons zu ignorieren. Dieses Verhalten, das in Meetings oder Pausengesprächen auftritt, ist nicht nur unhöflich. Es kann ein klares Anzeichen für eine gestörte Prioritätensetzung und ein suchtartiges Verhalten sein. Die Person, die phubbt, signalisiert, dass die digitale Welt wichtiger ist als die reale Interaktion, was auf eine mangelnde Impulskontrolle und eine psychische Abhängigkeit hindeuten kann.

Neben diesem offensichtlichen Verhalten gibt es weitere, subtilere Anzeichen, auf die Sie achten sollten:

  • Konzentrationsschwierigkeiten und erhöhte Fehlerquote: Ständige Unterbrechungen durch Benachrichtigungen fragmentieren die Aufmerksamkeit.
  • FOMO (Fear Of Missing Out): Eine sichtbare Unruhe oder Nervosität, wenn kein Online-Zugang möglich ist, und der Zwang, ständig auf dem Laufenden bleiben zu müssen.
  • Sozialer Rückzug: Die Person zieht sich aus gemeinsamen Pausen oder Team-Aktivitäten zurück und verbringt die Zeit lieber am Smartphone.
  • Stimmungsschwankungen und Reizbarkeit: Besonders, wenn die Person auf ihre Handynutzung angesprochen wird.
  • Müdigkeit und Erschöpfung: Exzessive Nutzung, besonders spät in der Nacht, führt zu schlechtem Schlaf und beeinträchtigt die Leistungsfähigkeit am nächsten Tag.
  • Nachlassende Arbeitsqualität: Aufgaben werden nur noch oberflächlich oder verspätet erledigt.
  • Verteidigung des eigenen Verhaltens: Das Ausmaß der Nutzung wird heruntergespielt oder rationalisiert.

Warum sind 95% der „anonymisierten“ Datensätze durch Verknüpfung re-identifizierbar?

Ein weit verbreiteter Irrglaube ist, dass unsere Daten sicher sind, solange sie „anonymisiert“ werden. Doch die Realität ist wesentlich komplexer und beunruhigender. Die Privatsphäre im digitalen Zeitalter wird durch den sogenannten Mosaik-Effekt massiv bedroht. Dieser Effekt beschreibt, wie einzelne, für sich genommen harmlose und anonyme Datenpunkte durch die Kombination mit anderen Datensätzen zu einem detaillierten und identifizierbaren Profil einer Person zusammengesetzt werden können.

Stellen Sie sich vor, eine App kennt Ihren ungefähren Standort (anonymisiert). Ein anderer Datensatz von einem Online-Shop kennt Ihre Postleitzahl (anonymisiert). Ein dritter Datensatz aus einem sozialen Netzwerk kennt Ihr Geburtsdatum und Geschlecht (anonymisiert). Jeder einzelne dieser Datensätze ist nicht direkt auf Sie zurückzuführen. Kombiniert man sie jedoch, gibt es möglicherweise nur noch eine einzige Person in Deutschland, auf die alle drei Kriterien zutreffen: Sie. Studien haben gezeigt, dass mit nur wenigen solcher Datenpunkte bis zu 95% der Personen in einem angeblich anonymen Datensatz re-identifiziert werden können.

Das Bewusstsein für diese Gefahr ist in der Bevölkerung erschreckend gering.

Fallstudie: Der blinde Fleck der Datennutzung

Umfragen der Verbraucherzentrale NRW zeigen ein alarmierendes Bild: Über die Hälfte der Nutzer hat keine Ahnung, wer tatsächlich Zugriff auf ihre Daten hat oder an wen sie weitergegeben werden. Ohne ausreichende Transparenz werden diese Informationen oft an ein riesiges Netzwerk aus Drittanbietern, Werbenetzwerken, Datenhändlern und sogar Krankenkassen weitergegeben. Jeder Like, jeder geteilte Artikel, jeder Standort-Check-in wird zu einem weiteren Mosaikstein in einem Profil, über das wir die Kontrolle längst verloren haben.

Ein bewusster Umgang mit Social Media erfordert daher ein radikales Umdenken beim Thema Datenschutz. Gehen Sie sparsam mit Ihren Daten um, überprüfen Sie regelmäßig die Privatsphäre-Einstellungen Ihrer Apps und seien Sie sich bewusst, dass es echte Anonymität im Netz kaum gibt.

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Wechsel von passivem Konsum zu aktiver, intentionaler Nutzung ist der Schlüssel zur Kontrolle über Ihr digitales Wohlbefinden.
  • Etablieren Sie eine „digitale Ernährung“: Wählen Sie bewusst nahrhafte, inspirierende Inhalte und minimieren Sie algorithmischen „Junk-Content“.
  • Mentale Gesundheit am Arbeitsplatz erfordert eine Kultur der Nichterreichbarkeit und klare Regeln für die digitale Kommunikation.

Wie Sie mentale Gesundheit am Arbeitsplatz fördern und Burn-out-Raten um 50% senken können

Die Förderung der mentalen Gesundheit im Kontext der Digitalisierung ist keine rein private Aufgabe mehr. Unternehmen tragen eine Mitverantwortung, da die Kultur der ständigen Erreichbarkeit und die Erwartung sofortiger Reaktionen maßgeblich zu Stress und Burn-out beitragen. Eine proaktive Förderung des „Digital Wellbeing“ ist nicht nur ein Benefit für Mitarbeiter, sondern eine strategische Investition in Produktivität und Mitarbeiterbindung. Studien zeigen, dass Unternehmen mit starken Programmen zur mentalen Gesundheit ihre Burn-out-Raten drastisch senken können.

Der Wandel beginnt mit der Erkenntnis, dass asynchrone Kommunikation – also die Akzeptanz, dass nicht jede Nachricht sofort beantwortet werden muss – der Schlüssel zu konzentriertem und stressfreiem Arbeiten ist. Es geht darum, eine Kultur zu schaffen, in der Nichterreichbarkeit nach Feierabend nicht nur akzeptiert, sondern als Zeichen einer gesunden Work-Life-Balance geschätzt wird. Schon wenige Tage mit einem bewusst reduzierten Medienkonsum und klaren Kommunikationsregeln können positive Effekte wie besseren Schlaf und mehr Klarheit bewirken.

Eine wirksame Maßnahme ist die Implementierung einer Digital Wellbeing-Policy für das gesamte Unternehmen. Diese sollte konkrete, für alle verbindliche Regeln enthalten:

  • Definition von Kommunikationszeiten: Festlegen von Kernzeiten, in denen schnelle Antworten erwartet werden können, und klaren Regeln, dass nach einer bestimmten Uhrzeit (z.B. 18 Uhr) keine Reaktionen auf E-Mails oder Slack-Nachrichten mehr erfolgen müssen.
  • Förderung asynchroner Werkzeuge: Priorisierung von Tools, die durchdachte, zeitversetzte Antworten ermöglichen, anstatt ständiger Chat-Unterbrechungen.
  • Etablierung von „Handy-freien Inseln“: Ermutigung zu Meetings ohne Laptops und Smartphones oder zur Einrichtung von Ruhezonen im Büro, in denen digitale Geräte tabu sind.
  • Sensibilisierung und Training: Regelmäßige Schulungen für Führungskräfte und Mitarbeiter zum Thema digitale Erschöpfung und zu den Frühwarnsignalen psychischer Überlastung.
  • Vorbildfunktion der Führungskräfte: Manager müssen diese Regeln selbst vorleben, indem sie nach Feierabend keine E-Mails mehr versenden und die Pausen ihrer Mitarbeiter respektieren.

Beginnen Sie noch heute damit, diese Strategien anzuwenden. Nehmen Sie sich eine App vor, überprüfen Sie Ihre Privatsphäre-Einstellungen und definieren Sie eine klare Absicht für Ihre nächste Online-Sitzung. Jeder kleine Schritt hin zu einer bewussteren Nutzung ist ein Gewinn für Ihre mentale Gesundheit.

Häufige Fragen zum bewussten Umgang mit Social Media

Was sind die Hauptanzeichen für Social-Media-Überlastung bei Mitarbeitern?

Die häufigsten Anzeichen sind ständige Unruhe und Nervosität, wenn kein Online-Zugang besteht, eine ausgeprägte FOMO (Fear Of Missing Out), die zu krankhaftem Stress führt, sowie chronische Müdigkeit und Konzentrationsprobleme durch das Gefühl, rund um die Uhr online sein zu müssen.

Welche körperlichen Symptome können auftreten?

Bei starker Abhängigkeit können Entzugserscheinungen wie erhöhte Herzfrequenz- und Blutdruckwerte auftreten, wenn die Nutzung von Social Media für eine gewisse Zeit nicht möglich ist.

Wo finden Betroffene professionelle Hilfe?

Für eine erste anonyme Beratung bietet sich beispielsweise die DAK-Mediensucht-Hotline an. Sie ist unter 0800 2 800 200 jeden Dienstag von 15:30 bis 19:30 Uhr erreichbar. Auch Hausärzte oder Psychotherapeuten sind wichtige Anlaufstellen.

Geschrieben von Dr. Anna Zimmermann, Dr. Anna Zimmermann ist Medienwissenschaftlerin und Digital-Culture-Strategin mit 11 Jahren Erfahrung in Medientransformation und immersiven Technologien. Sie berät Kulturinstitutionen und Medienunternehmen bei der digitalen Neuausrichtung und forscht zu ethischem Plattform-Design und VR-Anwendungen in Bildung und Therapie.