Veröffentlicht am Mai 11, 2024

Die Klimaresilienz von Infrastruktur hängt nicht von Einzelmaßnahmen ab, sondern von einem systematischen, szenariobasierten Entscheidungsprozess, der Unsicherheit in eine handhabbare Planungsgröße umwandelt.

  • Historische Klimadaten sind für die Bemessung langlebiger Anlagen unbrauchbar geworden; die Planung muss auf Basis von Zukunftsszenarien (SSPs) erfolgen.
  • Ein Portfolio aus robusten Sofortmaßnahmen und flexiblen Anpassungspfaden ermöglicht es, auf unterschiedliche Klimazukünfte reagieren zu können, ohne heute zu viel zu investieren.

Empfehlung: Implementieren Sie einen „Decision Making under Deep Uncertainty“ (DMDU) Prozess, um Fehlanpassungen zu vermeiden und Investitionen über den gesamten Lebenszyklus der Infrastruktur zu optimieren.

Als Planer, Architekt oder Ingenieur stehen Sie vor einer fundamentalen Herausforderung: Die Infrastrukturen, die Sie heute entwerfen, müssen Jahrzehnte, wenn nicht ein ganzes Jahrhundert, in einer radikal veränderten Klimazukunft funktionieren. Die traditionelle Methode, Anlagen auf Basis historischer Wetterdaten zu dimensionieren – sei es für Entwässerungssysteme, Brückenfundamente oder die Kühlung von Rechenzentren – ist obsolet geworden. Die Annahme einer klimatischen Stabilität, das Fundament der Ingenieurwissenschaften des 20. Jahrhunderts, existiert nicht mehr.

Die üblichen Reaktionen, wie die Forderung nach mehr Grünflächen oder die allgemeine Vorbereitung auf Extremwetter, sind zwar gut gemeint, kratzen aber nur an der Oberfläche des Problems. Sie bieten keine systematische Antwort auf die Kernfrage: Wie treffen wir belastbare, wirtschaftlich vertretbare und ethisch verantwortungsvolle Entscheidungen unter „tiefer Unsicherheit“, wenn wir nicht wissen, ob wir uns auf eine Welt mit 1,5°C, 2°C oder sogar 3°C Erwärmung zubewegen?

Die wahre Lösung liegt nicht in einer Liste von Baumaßnahmen, sondern in der Implementierung eines neuen Denk- und Planungsprozesses. Statt zu fragen „Was sollen wir bauen?“, müssen wir fragen „Wie entscheiden wir, was wir wann bauen?“. Dieser Artikel bricht mit dem reaktiven Ansatz und stellt eine proaktive, szenariobasierte Methodik vor. Wir werden die statische Planung hinter uns lassen und uns einem dynamischen Management von Anpassungspfaden zuwenden. Sie lernen, wie Sie Klimaszenarien nicht als Bedrohung, sondern als strategisches Werkzeug nutzen, um robuste, flexible und langlebige Infrastrukturen zu schaffen, die auch in den extremsten Zukünften ihren Zweck erfüllen.

Dieser Leitfaden führt Sie systematisch durch die notwendigen Schritte, um Ihre Projekte zukunftssicher zu gestalten. Sie werden die Gründe für das Versagen alter Methoden verstehen, einen konkreten Prozess zur Integration von Klimaszenarien kennenlernen und die strategischen sowie ethischen Dimensionen der Anpassung an eine ungewisse Zukunft beleuchten.

Warum versagen Infrastrukturen, die auf historischen Klimadaten basieren?

Das Grundprinzip der Infrastrukturplanung war über ein Jahrhundert lang die Stationarität: die Annahme, dass natürliche Systeme innerhalb eines unveränderlichen Variationsbereichs schwanken. Ein „Jahrhunderthochwasser“ war ein statistisch seltenes, aber berechenbares Ereignis. Auf dieser Basis wurden Deichhöhen, Kanalquerschnitte und Brückenpfeiler bemessen. Doch der Klimawandel hat dieses Fundament zerstört. Die Vergangenheit ist kein verlässlicher Indikator mehr für die Zukunft. Die Konsequenzen sind bereits heute messbar und führen zum systematischen Versagen von Anlagen, die „nach Vorschrift“ gebaut wurden.

Ein dramatisches Beispiel ist der Wasserhaushalt. Während Planungsnormen oft von stabilen Grundwasserständen und Niederschlagsmengen ausgehen, gehört Deutschland laut Umweltbundesamt zu den Regionen mit dem weltweit größten Wasserverlust von durchschnittlich 2,5 Kubikkilometern pro Jahr in den letzten zwei Jahrzehnten. Dies beeinträchtigt nicht nur die Wasserversorgung, sondern führt zu Bodensetzungen, die die Stabilität von Gebäuden und Verkehrswegen gefährden – ein Risiko, das in historischen Daten nicht abgebildet ist.

Gleichzeitig nehmen Extremwetterereignisse wie Starkregen in Frequenz und Intensität zu, was städtische Entwässerungssysteme, die für historische Regenmengen ausgelegt sind, regelmäßig überlastet. Das Resultat sind Sturzfluten in Gebieten, die bisher als nicht gefährdet galten. Die Planung, die sich auf veraltete Risikokarten stützt, erzeugt eine trügerische Sicherheit. Diese Diskrepanz zwischen Planungsannahme und klimatischer Realität wird von Experten scharf kritisiert.

Wir hinken dem Klimawandel in sehr vielen Bereichen in der Anpassung hinterher, das betrifft auch die Bauleitplanung und -ausführung.

– Prof. Fred Hattermann, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

Die fortgesetzte Nutzung historischer Daten ist daher keine konservative, sondern eine hochriskante Strategie. Sie führt zu Infrastrukturen, die bereits am Tag ihrer Fertigstellung veraltet sind und deren vorzeitiges Versagen oder kostspielige Nachrüstung praktisch vorprogrammiert ist.

Wie Sie Klimaszenarien in 5 Schritten in Ihr Infrastrukturdesign einbetten

Wenn historische Daten unbrauchbar sind, worauf stützen wir dann unsere Planung? Die Antwort liegt in der systematischen Nutzung von Klimaszenarien. Anstatt von einer einzigen Zukunft auszugehen, arbeitet der Ingenieur der Zukunft mit einem Szenario-Korridor – einem Spektrum plausibler Zukünfte. Dieser Ansatz wandelt die „tiefe Unsicherheit“ in ein managebares Risiko um. Der Prozess lässt sich in fünf Kernschritte gliedern.

Der Ausgangspunkt sind globale Klimamodelle, die verschiedene sozioökonomische Entwicklungen abbilden, die sogenannten Shared Socioeconomic Pathways (SSPs). Wie das Deutsche Klimarechenzentrum (DKRZ) in seinen Simulationen für den Weltklimarat (IPCC) zeigt, reichen diese von einer nachhaltigen Welt (SSP1) bis zu einer von fossilen Brennstoffen dominierten Entwicklung (SSP5). Diese globalen Modelle sind für eine lokale Projektplanung jedoch zu grob. Der entscheidende Schritt ist das regionale Downscaling, bei dem die globalen Daten auf die lokale Ebene „heruntergebrochen“ und in konkrete, für Ingenieure relevante Parameter übersetzt werden: zum Beispiel zukünftige maximale Windgeschwindigkeiten, Anzahl der Hitzetage über 35°C oder die Intensität eines 100-jährigen Regenereignisses im Jahr 2070.

Visualisierung des Downscaling-Prozesses von globalen zu lokalen Klimaszenarien für die Infrastrukturplanung

Diese lokalisierten Daten bilden die Grundlage für eine Vulnerabilitätsanalyse Ihrer geplanten Infrastruktur. Sie prüfen, wie anfällig Ihr Projekt unter den verschiedenen Szenarien (z.B. einem optimistischen SSP1-2.6 und einem pessimistischen SSP5-8.5) ist. Daraus leiten Sie konkrete Anpassungsoptionen ab und bewerten deren Kosten und Nutzen. Der finale Schritt ist die Formulierung einer robusten Anpassungsstrategie, die oft aus einer Kombination verschiedener Maßnahmen besteht.

Robuste Sofortmaßnahmen oder flexible Anpassungspfade: Wie planen Sie bei Klimaunsicherheit?

Die Arbeit mit einem Szenario-Korridor von +1,5°C bis +3°C oder mehr wirft eine entscheidende wirtschaftliche Frage auf: Müssen wir unsere Infrastruktur heute für das schlimmstmögliche Szenario auslegen und damit potenziell enorme Summen „überinvestieren“? Die Antwort lautet nein. Eine intelligente Resilienzstrategie kombiniert zwei Arten von Maßnahmen: robuste Sofortmaßnahmen und flexible Anpassungspfade.

Robuste Maßnahmen (oft „No-Regret“-Maßnahmen genannt) sind solche, die sich über alle Klimaszenarien hinweg lohnen und sofort umgesetzt werden können. Dazu gehört beispielsweise die Schaffung von Grünflächen, die nicht nur bei Starkregen Wasser zurückhalten (Anpassung), sondern auch die Luftqualität verbessern und die CO₂-Bindung erhöhen (Minderung). Flexible Anpassungspfade hingegen sind eine strategische Entscheidung, heute nicht die volle, teure Schutzmaßnahme zu bauen, sondern die Möglichkeit für eine spätere, einfache Aufrüstung vorzusehen. Man baut beispielsweise ein Fundament für eine Lärmschutzwand, das bereits für eine spätere Erhöhung ausgelegt ist, oder plant Platz für eine größere Kühlungsanlage ein, installiert aber zunächst nur ein kleineres Modell.

Der Schlüssel zur Steuerung dieser Pfade sind vorab definierte Trigger-Punkte. Dies sind messbare Schwellenwerte (z.B. „wenn die mittlere Sommertemperatur an diesem Standort über drei Jahre hinweg 25°C übersteigt“ oder „wenn der Grundwasserspiegel unter Marke X fällt“), bei deren Erreichen die nächste Stufe des Anpassungspfades aktiviert wird. Dieser Ansatz, bekannt als „Decision Making under Deep Uncertainty“ (DMDU), vermeidet Fehlinvestitionen und ermöglicht eine dynamische Reaktion auf die tatsächliche Klimaentwicklung.

Ihr Aktionsplan für Entscheidungen unter Unsicherheit

  1. No-Regret-Maßnahmen identifizieren: Listen Sie alle Maßnahmen auf, die sich unabhängig vom Klimaszenario wirtschaftlich und ökologisch lohnen.
  2. Trigger-Punkte definieren: Legen Sie messbare Schwellenwerte fest, die zukünftige Anpassungsmaßnahmen auslösen (z.B. Wasserstände, Temperaturen, Ereignisfrequenzen).
  3. Portfolio-Ansatz entwickeln: Kombinieren Sie robuste Sofortmaßnahmen mit flexiblen, stufenweisen Anpassungspfaden für eine kosteneffiziente Strategie.
  4. Realoptionen bewerten: Berechnen Sie den Wert, den die Flexibilität für eine spätere Anpassung heute schon hat (z.B. die Option, eine Mauer später zu erhöhen).
  5. Win-Win-Maßnahmen integrieren: Priorisieren Sie Maßnahmen, die sowohl dem Klimaschutz (CO₂-Reduktion) als auch der Klimaanpassung dienen.

Durch diese Methodik wird aus der lähmenden Unsicherheit eine aktive, strategische Planungsgrundlage, die ökonomisch und technisch über den gesamten Lebenszyklus der Anlage überzeugt.

Warum verschlimmern 30% der Klimaanpassungen die Situation langfristig?

In dem Bestreben, schnell auf Klimarisiken zu reagieren, besteht die Gefahr der Fehlanpassung (Maladaptation). Darunter versteht man Maßnahmen, die kurzfristig zwar Schutz bieten, aber langfristig die Anfälligkeit des Gesamtsystems erhöhen, Risiken auf andere Gruppen oder Zeitpunkte verlagern oder schädliche Kollateraleffekte haben. Schätzungen zufolge könnten bis zu 30% der gut gemeinten Anpassungsprojekte in diese Kategorie fallen.

Ein klassisches Beispiel ist das „Deich-Paradoxon“: Die Erhöhung eines Deiches schützt zunächst das dahinterliegende Gebiet. Dieses neu gewonnene Sicherheitsgefühl führt jedoch oft zu einer verstärkten Bautätigkeit und höheren Investitionen im geschützten Bereich. Versagt der Deich bei einem noch extremeren Ereignis, als für das er ausgelegt war, ist die Schadenssumme um ein Vielfaches höher, als sie es ohne den Deich gewesen wäre. Das Risiko wurde nicht eliminiert, sondern lediglich die potenzielle Fallhöhe katastrophal vergrößert. Die hohe Anfälligkeit unserer Logistikketten unterstreicht dies: Eine KPMG-BVL-Studie von 2024 zeigt, dass bereits heute mehr als die Hälfte der Transport- und Logistikunternehmen Schäden an der Infrastruktur durch Klimafolgen verzeichnen mussten, oft weil punktuelle Schutzmaßnahmen versagten.

Um solche Fehlanpassungen zu vermeiden, ist ein systemischer Blick erforderlich. Das Konzept der Schwammstadt ist hierfür ein hervorragendes Gegenbeispiel. Anstatt Regenwasser durch kanalisierte Systeme so schnell wie möglich abzuleiten (was die Hochwassergefahr flussabwärts erhöht), zielt das Schwammstadt-Prinzip darauf ab, Wasser lokal zu speichern, zu versickern und zu verdunsten. Durch den Einsatz von Gründächern, Rigolen und porösen Oberflächen wird nicht nur die Gefahr von Sturzfluten reduziert, sondern auch das Mikroklima verbessert und die Grundwasserneubildung gefördert. Es ist eine Win-Win-Lösung, die das Problem an der Wurzel packt, anstatt es nur zu verlagern.

Als Planer müssen Sie jede vorgeschlagene Anpassungsmaßnahme kritisch hinterfragen: Wer profitiert? Wer trägt das Restrisiko? Welche unbeabsichtigten Folgen könnte diese Maßnahme in 20 oder 50 Jahren haben? Nur so lässt sich sicherstellen, dass die Lösung nicht Teil des zukünftigen Problems wird.

Wann sollten Sie Infrastruktur erneuern: Klimaszenarien als Timing-Kriterium

Eine der schwierigsten Entscheidungen im Lebenszyklusmanagement von Infrastruktur ist das richtige Timing für Erneuerung oder Ertüchtigung. Zu früh zu investieren, bedeutet, Kapital zu binden und funktionierende Anlagen vorzeitig abzuschreiben. Zu lange zu warten, riskiert katastrophale Ausfälle. Klimaszenarien liefern hierfür einen entscheidenden, datengestützten Entscheidungsrahmen. Die Dringlichkeit ist offensichtlich: Mit einer mittleren Temperaturzunahme von 1,8°C seit 1881 hat Deutschland bereits jetzt eine deutliche Erwärmung erfahren, die weit über dem globalen Durchschnitt liegt.

Der Prozess beginnt mit der Definition von Leistungs- und Sicherheitsgrenzen für eine bestehende Anlage. Zum Beispiel könnte eine Brücke so konzipiert sein, dass sie einem Hochwasserabfluss von X Kubikmetern pro Sekunde standhält. Mittels regionalisierter Klimaszenarien (Downscaling) können Sie nun prognostizieren, in welchem Jahrzehnt dieser kritische Wert unter einem bestimmten Szenario (z.B. SSP3-7.0) wahrscheinlich überschritten wird. Dieses prognostizierte Datum wird zu einem Anpassungs-Kipppunkt im Lebenszyklus der Anlage.

Darstellung eines Anpassungs-Kipppunkts im Infrastruktur-Lebenszyklus, an dem Ingenieure eine Erneuerungsentscheidung treffen

Dieser Kipppunkt dient als strategischer Trigger für die Planung. Anstatt auf einen Schaden zu warten, können Sie proaktiv den Erneuerungszyklus so legen, dass die Ertüchtigung abgeschlossen ist, *bevor* die prognostizierte Belastung die Sicherheitsgrenzen der alten Struktur übersteigt. Dieser Ansatz ermöglicht eine langfristige, vorausschauende Budgetierung und vermeidet Notfallmaßnahmen, die immer teurer und weniger durchdacht sind. Das Timing wird so von einer reaktiven Reparatur zu einer proaktiven, risikobasierten Investitionsstrategie.

Indem Sie die erwartete Lebensdauer Ihrer Infrastruktur mit den prognostizierten Klimabelastungen abgleichen, schaffen Sie eine transparente und technisch fundierte Grundlage für einige der kostspieligsten Entscheidungen, die im Infrastrukturmanagement zu treffen sind.

Höhere Versicherung oder bauliche Ertüchtigung: Was schützt Ihr Gebäude wirksamer?

Angesichts steigender Klimarisiken stehen Eigentümer und Betreiber von Infrastruktur vor einer strategischen Wahl: Verlassen sie sich auf einen finanziellen Ausgleich durch Versicherungen oder investieren sie präventiv in bauliche Schutzmaßnahmen? Während eine Versicherung nach einem Schaden finanzielle Mittel bereitstellt, verhindert die bauliche Ertüchtigung den Schaden von vornherein oder minimiert ihn zumindest. In einer Zukunft mit zunehmender Erwärmung wird dieser Unterschied fundamental.

Versicherungen sind ein Instrument des Risikotransfers, nicht der Risikominderung. In einer 3°C-Welt könnten bestimmte Risiken wie wiederholte Überschwemmungen oder langanhaltende Dürren für Versicherer schlicht unkalkulierbar und damit unversicherbar werden. Prämien würden exponentiell steigen oder der Versicherungsschutz für bestimmte Lagen komplett entfallen. Bauliche Maßnahmen hingegen bieten einen dauerhaften, physischen Schutz, der die Funktionalität der Infrastruktur sichert. Eine vergleichende Analyse macht die unterschiedlichen Logiken deutlich.

Vergleich: Versicherungsstrategie vs. Bauliche Ertüchtigung
Kriterium Versicherungsstrategie Bauliche Ertüchtigung
Schadensabdeckung Finanzieller Ausgleich nach Ereignis Prävention und Schadensminimierung
Verfügbarkeit bei 3°C Zunehmend eingeschränkt Dauerhaft wirksam
Kosten-Nutzen Steigende Prämien Einmalinvestition mit Co-Benefits
Resilienz-Dividende Keine Wertsteigerung, Komfort, niedrigere Prämien

Die Entscheidung ist nicht unbedingt ein „Entweder-Oder“. Eine optimale Strategie kombiniert beides: Bauliche Ertüchtigungen reduzieren das physische Risiko so weit wie möglich (z.B. durch Rückstauklappen, wasserresistente Materialien im Keller). Dies senkt nicht nur die Wahrscheinlichkeit eines Schadens, sondern macht auch den Abschluss einer Versicherung für das verbleibende Restrisiko erschwinglicher. Langfristig führt jedoch kein Weg an der physischen Anpassung vorbei. Die Resilienz-Dividende – also der Mehrwert durch höhere Betriebssicherheit, Wertsteigerung der Immobilie und potenziell niedrigere Versicherungsprämien – macht die bauliche Ertüchtigung zur überlegenen strategischen Investition.

Wie Sie mit Szenario-Planung ethische Leitplanken für ungewisse Zukünfte setzen

Die Planung klimaresilienter Infrastruktur ist mehr als eine technische Übung; sie ist zutiefst ethisch. Die Entscheidungen, die wir heute treffen, bestimmen die Lebensqualität, Sicherheit und die Chancen zukünftiger Generationen (intergenerationelle Gerechtigkeit) sowie die Verteilung von Risiken zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen heute (intragenerationelle Gerechtigkeit). Die Szenario-Planung dient hier als Werkzeug, um diese ethischen Dimensionen sichtbar und diskutierbar zu machen.

Ein Szenario ist nicht nur eine Sammlung von Klimadaten, sondern beschreibt eine ganze Welt mit spezifischen sozioökonomischen Bedingungen. Die Wahl zwischen einem SSP1-Szenario („Nachhaltigkeit“) und einem SSP3-Szenario („Regionale Rivalität“) ist auch eine Entscheidung über die Art von Gesellschaft, die wir anstreben und für die wir bauen. Die Konsequenzen für die Anpassungsfähigkeit sind enorm, wie Experten betonen.

Die SSP1-Welt besitzt aufgrund einer gut ausgebildeten und wohlhabenden Bevölkerung große Kapazitäten zur Anpassung, während in der SSP3-Welt durch fehlende internationale Kooperation und verbreitete Armut die Anpassungs-Kapazität sehr gering ist.

– Dr. Dieter Kasang, Climate Service Center Germany (GERICS)

Als Planer bedeutet dies, dass eine Infrastruktur, die in einer kooperativen, wohlhabenden SSP1-Welt funktioniert, in einer fragmentierten SSP3-Welt katastrophal versagen kann, weil die gesellschaftlichen Systeme zur Wartung und Steuerung fehlen. Die ethische Verantwortung des Ingenieurs besteht darin, Infrastrukturen zu entwerfen, die eine minimale Funktionalität auch unter den widrigsten sozioökonomischen Bedingungen gewährleisten. Dies führt zu Konzepten wie „Safe-to-Fail“, bei denen Systeme so gestaltet sind, dass ihr Versagen nicht zu einer humanitären Katastrophe führt. Die ethische Planung erfordert Transparenz über die Annahmen und die explizite Diskussion darüber, wer die Restrisiken in jedem Szenario trägt.

Das Wichtigste in Kürze

  • Das Fundament der Planung hat sich von historischer Stabilität zu zukünftiger Unsicherheit verschoben, was traditionelle Bemessungsmethoden obsolet macht.
  • Wahre Resilienz entsteht nicht durch einzelne Baumaßnahmen, sondern durch einen systematischen Entscheidungsprozess, der auf einem Korridor von Klimaszenarien basiert.
  • Die Strategie muss robuste „No-Regret“-Maßnahmen mit flexiblen, durch Trigger-Punkte gesteuerten Anpassungspfaden kombinieren, um Fehlinvestitionen zu vermeiden.
  • Ein kritischer Blick ist geboten, um „Fehlanpassungen“ zu verhindern – gut gemeinte Lösungen, die das Risiko langfristig erhöhen oder verlagern.

Wie Sie konkrete Klimaschutzmaßnahmen umsetzen, die messbar CO₂ reduzieren

Obwohl der Fokus dieses Leitfadens auf der Anpassung an den unvermeidlichen Klimawandel liegt, darf die Minderung von CO₂-Emissionen nicht vernachlässigt werden. Im Idealfall gehen Klimaanpassung und Klimaschutz Hand in Hand. Viele resiliente Designentscheidungen bieten erhebliche Co-Benefits für die CO₂-Reduktion und schaffen so wirtschaftlich und ökologisch überzeugende Win-Win-Situationen.

Ein zentraler Hebel ist der Gebäudesektor. Eine verbesserte Gebäudehülle (Dämmung, hochwertige Fenster) reduziert nicht nur die Anfälligkeit für extreme Temperaturen (Anpassung), sondern senkt auch den Energiebedarf für Heizung und Kühlung drastisch (Minderung). Die Kombination mit erneuerbaren Energien ist hierbei der Goldstandard. Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass der Wandel bereits im Gange ist: Inzwischen werden fast drei Viertel aller 2024 fertiggestellten neuen Wohngebäude primär mit erneuerbaren Energien beheizt. Dies reduziert nicht nur den CO₂-Fußabdruck, sondern erhöht auch die Autarkie gegenüber fossilen Energiepreisschwankungen.

Ein weiterer Ansatz ist die systematische Integration von Klimazielen in öffentliche Förderprogramme und Genehmigungsverfahren. Das Bundesland Thüringen hat beispielsweise ein vorbildliches Verfahren zur Klimaresilienzprüfung für Infrastrukturprojekte entwickelt, die mit Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert werden. Projekte mit hoher Anfälligkeit gegenüber Klimarisiken müssen nicht nur detaillierte Anpassungsmaßnahmen nachweisen, sondern auch aufzeigen, wie diese Maßnahmen gleichzeitig zur CO₂-Reduktion beitragen. Dies stellt sicher, dass öffentliche Gelder nur in Projekte fließen, die sowohl resilient als auch klimafreundlich sind.

Letztlich geht es darum, bei jeder Planungsentscheidung die doppelte Frage zu stellen: „Macht diese Maßnahme unser Projekt widerstandsfähiger?“ und „Hilft sie uns, unsere CO₂-Ziele zu erreichen?“. Die besten Lösungen sind fast immer jene, die auf beide Fragen eine positive Antwort geben.

Beginnen Sie jetzt damit, diese Prinzipien in Ihre Projektbewertung zu integrieren, um messbare Resilienz und eine nachhaltige CO₂-Reduktion zu erzielen und so die Infrastruktur für die kommenden Generationen zu sichern.

Häufig gestellte Fragen zur Planung klimaresilienter Infrastruktur

Wie wird intergenerationelle Gerechtigkeit in Klimaszenarien berücksichtigt?

Durch die Bewertung langfristiger Folgen heutiger Entscheidungen und die Integration von Zukunftsszenarien bis 2100 in die Planung. Dies zwingt Planer, die Verantwortung für die Lebensbedingungen zukünftiger Generationen zu übernehmen.

Was bedeutet ‚Safe-to-Fail‘ im Kontext der Klimaresilienz?

Es bedeutet, Systeme so zu gestalten, dass sie bei Überlastung kontrolliert und ohne katastrophale Folgen für Menschen und das Gesamtsystem versagen können. Anstatt eines unkontrollierbaren Dammbruchs wäre dies zum Beispiel ein gezielt überflutbarer Polder.

Wie können vulnerable Gruppen in die Szenarioplanung einbezogen werden?

Durch partizipative Methoden wie „Participatory Scenario Development“. Dabei werden betroffene Gemeinschaften, insbesondere sozial oder wirtschaftlich benachteiligte Gruppen, aktiv in den Prozess der Szenarienentwicklung und Maßnahmenbewertung einbezogen, um sicherzustellen, dass ihre Bedürfnisse und ihre Expertise berücksichtigt werden.

Geschrieben von Dr. Sabine Hoffmann, Dr. Sabine Hoffmann ist Klimawissenschaftlerin und Nachhaltigkeitsstrategin mit 13 Jahren Erfahrung in Klimaanpassung und Dekarbonisierungsstrategien. Sie leitet derzeit ein Beratungsunternehmen für kommunale Klimaschutzplanung und ist zertifizierte Klimarisiko-Analystin nach TCFD-Standards.